Die Identität eines spirituellen Unternehmers

Erscheinungsjahr:
2002
Autor/Autorin:

In der Psychotherapie geht es bei der Identität um die Persönlichkeit und damit um das Konzept, das man von sich selbst besitzt und die Art und Weise, wie man Beziehungen zu anderen Menschen und zur Welt erlebt. Dieses Gefüge ist die Identität. Es basiert somit auf Konzepten, auf dem Selbst- und dem Weltverständnis. Spiritualität transzendiert diese Konzepte, transzendiert Persönlichkeit, fügt also der Identität noch etwas anderes hinzu. Spiritualität bezieht sich also auf das Transpersonale, das was Persönlichkeit, personale Identität transzendiert, sie also weiterentwickelt.

Für mich ist Spiritualität jedoch noch allgemeiner zu verstehen, als der erfahrbare Bezug zum umfassenderen Ganzen, zum Absoluten, zum Göttlichen. Dabei geht es mir nicht nur um den Glauben daran, sondern um die Erfahrung dessen. Diese Erfahrung ist zustandsabhängig, das heißt sie vergeht, sie ist aber erinnerlich und wirkt durch Erinnerung, und wenn sie wiederholt wird, so hinterlässt sie ein Wissen, das als Struktur wirkt und das gegenwärtige Erleben durchtönt.

Ich unterscheide also zwischen der spirituellen Erfahrung und der spirituellen Persönlichkeitsstruktur, die die Folge wiederholter Erfahrungen ist.

Unternehmer sein bedeutet für mich Kreator sein, Ideen und Mittel zusammenzubringen, persönliche Risiken einzugehen, mich in Projekten und Unternehmungen in der Welt auszudrücken und auch von ihnen materiell zu leben. Unternehmer sein bedeutet für mich, das Leben immer weniger in Segmente aufzuteilen, wie z. B. Arbeit, Freizeit, Familie, Spiritualität, sondern dazu bereit zu sein, dass sich die verschiedenen Aspekte oder Segmente durchdringen und zusammenkommen.

Die Identität wird, wie wir aus der Psychotherapie wissen, entwickelt. Persönlichkeit entwickelt sich, Spiritualität entwickelt sich, Unternehmer sein entwickelt sich ebenfalls. Also entfaltet sich spirituelles Unternehmersein auch auf eine bestimmte Weise. Dabei gibt es ganz individuelle Aspekte und ganz typische Aspekte. Ich möchte im folgenden meinen eigenen Weg zeigen und ihn unter einige Überschriften stellen, und vielleicht zeigt sich daran auch etwas Typisches.

Bei mir war es so, dass ich einen spirituellen Weg schon seit 10 Jahren hatte, bevor ich Unternehmer wurde. Mein Weg war deutlich geprägt durch den Buddhismus, insbesondere meine Meditationslehrerin Ayya Khema, aber ich habe auch viele andere Lehrer besucht und viele Systeme studiert. Einen starken Einfluss hatte auch die integrale Philosophie Ken Wilbers und die Philosophia perennis. Sie hat dazu geführt, dass ich mich mit dem ganzen Gebiet von integraler Spiritualität, transkonfessioneller Religiosität, transpersonaler Psychologie und Psychotherapie intensiv beschäftigt habe. Unternehmer bin ich seit 8 Jahren, und in dieser Zeit hat es mehrere unterschiedliche Phasen gegeben.

Vision
Die erste Phase, die visionäre Phase, könnte man vielleicht noch als Vorphase bezeichnen. Bevor ich nach Heiligenfeld ging, hatte ich die Vision, Spiritualität in ein psychosomatisches Klinikkonzept zu integrieren. Ich wollte ein ganzheitliches Konzept verwirklichen, in dem Spiritualität, transpersonale Therapien, Meditation einen Platz haben. Die Mitarbeiter sollten spirituell verankert sein, und spirituelle Krisen sollten behandelt werden. Und als ich nach Heiligenfeld gegangen bin, habe ich genau dies umgesetzt. Ich war zunächst angestellter Chefarzt, und das Konzept funktionierte von Anfang an gut. Es funktionierte besser als ich dachte, da ich es ja bis dahin nur im Kopf hatte. Es funktionierte aber auch wirtschaftlich, da ich von Anfang an auf wirtschaftliche Zusammenhänge achtete, zumal ich, bevor ich nach Heiligenfeld kam, schon eine Weile den Plan hatte, mit Freunden eine Klinik zu gründen, was jedoch aufgrund mangelnder Versorgungsverträge nicht zustande kam. Ich bin dann nach zwei Jahren Mitunternehmer geworden.

Prüfen
Die nun folgende Phase nenne ich die Phase des Prüfens. Dies hat zwei Aspekte:

1. Die Prüfung der Spiritualität:
Bewahre ich meine innere Authentizität, meine spirituelle Verankerung, meinen spirituellen Bezug, alle meine diesbezüglichen Werte in der Auseinandersetzung mit ökonomischen Prinzipien, mit der ökonomischen Rationalität und natürlich auch mit der Verführung, die mit Geld zu tun hat? Oder stelle ich meine Spiritualität in den Hintergrund und gebe sie nur als Aushängeschild dafür aus, Geld zu verdienen? Also, meine Spiritualität stand auf dem Prüfstand.

2. Die Prüfung der Ökonomie:
Ist meine Spiritualität so abgehoben und traumtänzerisch, so sehr in den Wolken, dass sie mich ökonomisch ruiniert, weil ich die entsprechenden Notwendigkeiten übersehe und verleugne? Halte ich die Konflikte zwischen den spirituellen Idealen und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten überhaupt aus? Wie verhalte ich mich in schwierigen Zeiten, in ökonomischen Engpässen?

Die Lösung dieser Prüfungen ergab die nächste Phase.

Balancieren
Diese Phase dauerte sehr lange. Es war der Versuch, ein Gleichgewicht zwischen zwei inneren Welten herzustellen, die sich auch in meinem Äußeren spiegelten. Es waren zwei Teile meiner Identität, die ich bezeichnen könnte als Chefarzt und Gesellschafter/Geschäftsführer. Als Chefarzt konnte ich meinen Ideen folgen, meine Spiritualität in der Klinik ausleben. Ich konnte eine spirituelle Psychotherapie machen, eine transpersonale Psychotherapie entwickeln, Meditation in der Klinik durchführen, das Spiritual Emergence Network aufbauen, die Zeitschrift für transpersonale Psychologie und Psychotherapie herausgeben, Vorträge über spirituelle Krisen halten, als transpersonaler Therapeut und Dozent auftreten. Das war alles in dieser Rolle möglich. Der andere Teil meiner Identität, der Gesellschafter und Geschäftsführer, entschied sich zusammen mit meinen Geschäftspartnern zur Erweiterung der Klinik, von 54 auf 100 Betten. Im Bauen versuchten wir eine ganzheitliche und menschengemäße Architektur zu verwirklichen.
In dieser Zeit weitete sich mein Blick von der chefärztlichen Rolle und der Bezogenheit auf die Patienten hin zum ganzen Unternehmen, zu den Kostenträgern, zur Gesundheitspolitik. Ich balancierte in dieser Zeit diese beiden Welten, aber sie blieben zunächst einmal getrennt. Ich versuchte, sie innerlich und äußerlich in ein Gleichgewicht zu bringen.

Nutzen
Ich begann zunehmend die Klinik als Unternehmer zu nutzen, um spirituelle Werte in der Welt zu verwirklichen und zu verbreiten. Der funktionierende Betrieb wurde weitgehend instrumentalisiert zur Anwendung spiritueller Überzeugungen in Tagungen, Arbeitsgruppen, Seminaren, sowohl klinikintern als auch klinikextern. Ich hatte alle Ressourcen diesen Vorstellungen und Idealen unterstellt und alles bis an den Rand dessen, was die Klinik ökonomisch hergab, in den Dienst dieser Ideale gestellt. Meine persönlichen Interessen und meine Gewinninteressen habe ich in dieser Zeit vernachlässigt. Für mich war in dieser Zeit Spiritualität das Höchste im Leben, das zu Erstrebende, der Gipfel, das Gute an sich, dem ich mich dann in den Dienst stellte.

Der Gipfel der Phase des Nutzens war Dienen. Hier könnte aber auch für andere Menschen Berufung stehen, die Erfüllung ihrer Lebensaufgabe.

Dienen
Die Phase des Dienens war für mich die schönste und erfüllteste. Ich hatte über viele Jahre einen Platz und eine Aufgabe in der Welt, die mich ausgefüllt und getragen hat. Mein Leben hatte einen Sinn auf diesem Planeten und in dieser Welt. Meine Kompetenzen und Kapazitäten hatten einen Bezug, der über mich hinausging. Meine Transparenz für das Transzendente funktionierte, und ich war verwirklicht. In dieser Zeit sah ich, was alles da war, das heißt, es gab immer wieder Momente des Erkennens, nicht wohin ich wollte, sondern wo ich war. Die Klinik existierte, und es hat mich immer wieder beeindruckt, dass es sie tatsächlich gab und dass sie nicht nur eine Idee war. Die Klinik war da, meine Frau, meine Kinder, meine Familie, meine Freunde waren da. Und irgendwann spürte ich in dieser Phase diese Fülle, die mir eine neue Freiheit gab. Dies war in der Phase des Dienens zunächst einmal nicht so: anfangs musste ich dienen. Ich hatte anfangs das Gefühl, gar keine andere Wahl zu haben. Seiner Berufung, seiner Aufgabe muss man folgen, dies scheint ein archetypischer Prozess zu sein. Falls man an ihm vorbeigeht oder gegen ihn lebt, wird man verstört. Aber als ich diente, kamen immer wieder Momente, die mir zeigten, was alles da war und wie viel Freiheit auch in all dem liegen könnte.

Gestalten
Vor fast zwei Jahren habe ich die Chefarztrolle aufgegeben und mich zum Ärztlichen Direktor mit der Absicht gemacht, mehr Raum zu haben für strategisches/unternehmerisches Handeln. Ich habe dann erkennen müssen, dass ich in der vorherigen Zeit meine Spiritualität verabsolutiert hatte und damit über viele Tellerränder nicht hinausgeschaut hatte. Alles, was nicht in der Richtung meiner Aufgabe, meines Sinns, meiner Berufung stand, war außerhalb des Tellerrandes und damit uninteressant oder gar bedrohlich. Ich habe aber auch meine persönlichen Schattenseiten und meine Kompetenzdefizite in der Betriebswirtschaft durch Spiritualität kompensiert und überdeckt. Wenn ich beispielsweise mit meiner Persönlichkeit nicht klar kam und merkte, dass ein innerlich unerlöster Aspekt auftauchte, dann habe ich als Leitender nicht entschieden, dann habe ich meditiert oder mich innerlich angeschlossen an meine Spiritualität, und dann wusste ich immer, was zu tun war. Ich habe tatsächlich nicht aus persönlichen Motiven heraus gehandelt, sondern aus dem, was dem Höheren gedient hat. Dies hat lange funktioniert, nur die persönlichen Schatten wurden nicht aufgearbeitet, weil sie kompensiert wurden, eben durch diese Methode.

Jetzt merke ich mehr und mehr, dass ich all dies bin und beginne es anzuerkennen. Spirituelles Unternehmersein ist für mich im Moment mehr ein Gestalten und Konfigurieren meines gesamten Lebens, das nicht nur aus Spiritualität im üblichen Sinne, also auf das Höhere ausgerichtet besteht, sondern, in dem es mir um ein universelles Verständnis all meiner Lebensbereiche geht, die sich irgendwie durchdringen, die irgendwie gefügt sind, die ich aber auch anders gestalten kann. Dazu gehört meine Persönlichkeit, genauso wie meine Familie, meine Rollen als Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor, meine Visionen, Ressourcen und Entscheidungen als Unternehmer und natürlich auch meine Spiritualität im engeren Sinne und meine Meditation. Spiritualität im üblichen ideellen Sinne ist für mich zu einem unverzichtbaren Element meines Lebens geworden, aber sie ist eben nur ein Element. Ich empfinde spirituelles Unternehmersein dadurch nicht mehr als Pflicht, sondern als Freiheit zur Kreation und zum Gestalten. Und wichtiger als das Prüfen, das Balancieren, das Nutzen und das Dienen, ist mir die Intuition geworden, dieser innere Freiraum, der bereit ist, die äußeren Zwänge und das Unbekannte zu gestalten. Es geht mir um eine Intuition, die in sich selbst ruht und die Ganzheit dessen wahrnimmt und anerkennt, was ist und was nicht ist.