Altes Wissen für eine neue Welt

Erscheinungsjahr:
2008
Autor/Autorin:

Unity in Duality – Wissenschaft vom Bewusstsein und den Phänomenen
Unity in Duality – psychotherapeutische und spirituelle Anwendung
Unity in Duality – Selbstentwicklung und Kunst der Beziehung

Schon beim Titel fangen die Fragen an: "Muss der denn so lang und kompliziert sein? Kann man das nicht einfacher sagen?" oder: "Ja, was ist Unity in Duality denn nun eigentlich? Buddhismus oder Psychotherapie?"

Die Antwort ist: "Ja, es muss kompliziert sein, wenn man versucht, einer äußerst komplexen Wirklichkeit, in der wir nun mal leben, auf der Ebene von Worten auch nur annäherungsweise gerecht zu werden. Und: Unity in Duality ist kein Entweder-oder. Es ist in vieler Hinsicht ein Sowohl-als-auch".

Bis zu seinem Tod im Jahre 2004 hat der tibetische Philosoph und spirituelle Lehrer Tarab Tulku Rinpoche XI. daran gearbeitet, die Essenz seines tiefen Wissens der buddhistischen Philosophie und Psychologie, Geistesschulung und Meditation für unsere westliche Kultur fruchtbar zu machen. In Zusammenarbeit mit der dänischen Psychotherapeutin Lene Handberg hat er in über zwanzigjähriger Arbeit das System von Unity in Duality entwickelt.

Auf Basis einer tiefen Schulung in der Sicht, dass alles mit allem in wechselseitiger Verbundenheit steht, auf tibetisch Tendrel genannt, öffnet Unity in Duality ein weites Feld von Anwendungsmöglichkeiten. Für Menschen in helfenden und heilenden Berufen. Oder einfach nur für Menschen, die ihren Geist besser verstehen und sich entwickeln wollen.

Mittlerweile ist das Unity in Duality-Training in Brüssel und Stockholm, in München und Hamburg und nun schon zum zweiten Mal in Paris erfolgreich gelehrt worden. Im Jahr 2002 gab es in München eine von Tarab Rinpoche initiierte Konferenz, auf der Vertreter der modernen Wissenschaft (unter anderem der Atomphysiker Hans-Peter Dürr, der Biologe Rupert Sheldrake und die Psychoanalytikerin Jean Shinoda Bolen) sich zum Thema Unity in Duality aus der Sicht ihrer spezifischen Disziplin äußerten.

Nach Tarab Rinpoches Tod hat Lene Handberg auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin seine Nachfolge übernommen und gibt mittlerweile Unity in Duality sogar an junge Tibeter in verschiedenen Zentren Nordindiens weiter. Denn es war Tarab Rinpoches Herzenswunsch, dass die Frucht seiner langjährigen Studien auch seinen Landsleuten zugänglich gemacht wird. Unterstützung findet das Projekt vonseiten des Dalai Lama, der Tarab Rinpoche für einen der großen buddhistischen Gelehrten unserer Zeit hält und erkannt hat, dass auch die jungen Tibeter zunehmend von unserer westlichen Kultur geprägt werden und somit von der essenziellen Vermittlung von Unity in Duality profitieren können.

Doch was hat das alles mit uns hier zu tun? Wozu brauchen wir den Import östlicher Lehren in unsere westliche Kultur? Wenige Menschen nur betrachten sich explizit als Buddhisten, wir leben unser Leben in den persönlichen und professionellen Zwängen und Verstrickungen unserer modernen Welt und versuchen, so gut es geht, zurechtzukommen.

Und dennoch gibt es Grundfragen menschlicher Existenz, denen wir uns stellen müssen, wenn wir unser Leben auf einer tieferen Ebene verstehen wollen. Wenn wir aktiv die Verantwortung für unser geistiges Wohlbefinden übernehmen wollen. Wenn wir erkennen, dass es im Leben gar nicht so sehr darum geht, was passiert (denn das liegt oftmals nicht in unserer Hand), sondern vielmehr darum, wie wir mit dem umgehen, was uns widerfährt. So wie die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, liegt geistige Zufriedenheit und sogar Glück im Geist des Erfahrenden – das zumindest ist die zentrale Botschaft der östlichen Weisheitslehren.

Und so baut Unity in Duality auf eben diesen existenziellen menschlichen Grundfragen auf: "Was ist Bewusstsein?", "Was ist Realität?" und "Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen?". Es gibt auf diese Fragen keine einfache Antwort. Zum einen, weil in der langen buddhistischen Geistesgeschichte die Einsichten in die Phänomene von Bewusstsein und Realität beständig verfeinert und vertieft wurden. Und zum anderen (und das ist der für uns vielleicht weitaus schwierigere Punkt), weil wir selbst Teil der Antwort sind.

Dreh- und Angelpunkt der gesamten östlichen Sicht ist nämlich der Gedanke, dass alles mit allem anderen in wechselseitiger Beziehung steht. Ja dass das, was wir die Realität nennen, gar nicht als solche existiert, sondern sich in jedem Moment durch das Zusammenkommen von unzähligen Ursachen und Umständen neu hervorbringt. Dass wir vielmehr von verschiedenen Wirklichkeiten sprechen müssen, je nachdem, welches Lebewesen, ja sogar welches Individuum der Erfahrende ist. Und dass innerhalb jedes Individuums eine ganze Palette von Bewusstseinsarten zur Verfügung stehen, mit denen wir Wirklichkeit auf sehr unterschiedliche Art und Weise erfahren, wenn nicht sogar konstituieren.

Was sich zunächst vielleicht wie eine eher abstrakt-philosophische Erörterung anhört, hat weitreichende Konsequenzen für unser Leben. Denn wenn wir uns üblicherweise nur als ein Gegenüber von Welt sehen, dann haben wir genau zwei Möglichkeiten, mit unangenehmen Lebensumständen umzugehen: Dagegen zu kämpfen – einschließlich der Strategien von Manipulation und Verführung – oder zu fliehen, was sich oft auch als eine Art innere Flucht in Form von depressiven Verstimmungen oder selbst schädigenden kompensatorischen Verhaltensweisen äußern kann. Ziehen wir dagegen die Sichtweise in Betracht, dass wir selbst integraler Teil von Wirklichkeit sind, ja dass wir im Zusammenwirken unseres Bewusstseins mit bestimmten äußeren Umständen unsere spezifische Erfahrung von Realität überhaupt erst erzeugen, dann stehen alle Türen offen. Dann ist uns die Freiheit geschenkt, unsere Wirklichkeitserfahrung aktiv zu gestalten.

Unity in Duality greift hierzu insbesondere drei Beziehungspaare heraus, in deren wechselbezüglicher Dynamik sich unsere Erfahrung von Wirklichkeit fortlaufend entfaltet: Körper und Geist, Subjekt und Objekt, Materie und Energie.

Obwohl unsere Zeit einen Kult um den Körper betreibt, der historisch seinesgleichen sucht, leben doch die meisten Menschen in einem Zustand der Entfremdung von ihrem Körper. Dominiert vom Kopf, das heißt vom konzeptuellem Denken und Handeln, sind sie nicht in Kontakt mit ihren elementaren Bedürfnissen und unterwerfen sich stattdessen dem, was Kultur und Mode ihnen diktieren. Der Anteil der Teenager, die an krankhaften Essstörungen leiden, ist so hoch wie nie zuvor. Aus der Sicht der östlichen Weisheitstraditionen sind wir jedoch zu allererst verkörperte Sinneswesen. Wir schneiden uns durch unsere körperliche Entfremdung nicht nur von dem Reichtum unseres Wahrnehmungsspektrums ab (der Buddhismus erkennt den Körpersinnen eigene Bewusstseinsfunktion zu). Abgeschnitten vom Körper leben wir auch in einem geistig sehr instabilen Zustand, sodass uns die kleinste Irritation vollends außer uns – eben von Sinnen – bringen kann.

Doch die fünf Sinnesbewusstseinsarten sind nur ein Teil des Subjekt-Pols. Darüber hinaus besitzen wir aus östlicher Sicht auch ein sehr umfassendes geistiges Bewusstsein, das sich wiederum in eine ganze Palette von Wahrnehmungswerkzeugen aufgliedert. Hierbei zu nennen wären primär das konzeptuelle Bewusstsein, das fühlende Bewusstsein und das Bewusstsein, das innere Bilder wahrnehmen kann. Die Besonderheit der buddhistischen Psychologie liegt nun darin, dass jedem einzelnen Bewusstsein ein ganz spezifisches Wahrnehmungsobjekt zugeordnet wird. So kann das konzeptuelle Bewusstsein Realität eben nur mithilfe von Abstraktion und Benennung, das heißt durch Sprache wahrnehmen und ist damit automatisch immer nur mit einem sehr selektiven Teil der Gesamtwirklichkeit in Kontakt. Das fühlende Bewusstsein dagegen hat die Eigenschaft, sich direkt mit seinem Objekt in Kontakt zu setzen und uns so eine ganzheitliche Erfahrung von Wirklichkeit zu vermitteln.

Die Differenzierung der unterschiedlichen Wahrnehmungswerkzeuge ist deshalb von so großer Bedeutung, weil sie unmittelbar Einfluss auf den Grad an – bewusster oder unbewusster – Wirklichkeitserzeugung hat. Jeder kennt den Fall, sich vollkommen in etwas verrannt zu haben, von dem er erst im Nachhinein erkennt, dass es sich nur um eine Chimäre handelte. Vor dem Hintergrund des Wissens um die wechselbezügliche Natur von Subjekt und Objekt gilt es, in solchen Situationen zuallererst wieder Zugang zu gewinnen zu natürlicheren und nicht-abstrahierenden Wegen von Wahrnehmung und Kognition, wie sie uns etwa das fühlende Körpersinnesbewusstsein schenkt. In Kontakt mit einer umfassenderen Dimension von Wirklichkeit können wir uns und andere aus geistigen Fixierungen befreien.

Und erst indem wir wieder in einen unmittelbaren Kontakt zu uns selbst und allem anderen kommen, können wir uns der Tiefendimension unseres Bewusstseins zuwenden. Die westliche Quantenphysik sagt uns, dass Materie als solche nicht existiert. Was wir als konkrete Solidität an uns und an den Dingen um uns herum wahrnehmen, ist vielmehr eine Art momentane Kondensation einer viel feineren Ebene von Energie, die sich beständig neu hervorbringt. Was an der Oberfläche als Erstarrung erscheint, ist auf tieferen Ebenen ein lebendiger Seinsprozess, in dem Entstehen und Vergehen in jedem Moment ineinander übergehen. Das ist die fließende Natur aller Wirklichkeit, die im Buddhismus mit anitya, nicht-statisch bezeichnet wird. Im Kontakt mit dieser tieferen Wirklichkeitsdimension, die nichts anderes als unsere eigene Tiefendimension ist, wird sich vieles in unserem Leben als fließender gestalten, nicht zuletzt unser Verhältnis zu uns selbst.

Je mehr wir also lernen, uns wirklich zu verkörpern und in uns selbst ein Zuhause zu finden, je mehr wir lernen, unsere unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmungswerkzeuge zu differenzieren und ihrer jeweils unterschiedlichen Objekte gewahr zu werden, je mehr wir die Tiefendimension unseres Körpergeistes ergründen, wo die gewohnte Materialität viel feineren Ebenen von uns selbst und der erfahrbaren Wirklichkeit weicht, desto mehr halten wir den Schlüssel für unser Leben in der Hand.

Letztlich muss es darum gehen, uns selbst und die Realität jenseits unser gewohnten Wahrnehmungsmuster und Fixierungen zu erfahren. Es muss darum gehen, zum bewussten Teilhaber und Mitschöpfer von Wirklichkeit zu werden, indem wir immer mehr durch unser Sein als durch unser Tun handeln, wobei das eine das andere durchaus nicht ausschließen muss.

All das betrifft nicht nur unser persönliches Leben und unsere Selbstentwicklung, sondern gibt auch unseren Interventionen in der Begegnung mit anderen Menschen eine ganz neue Ebene von Verbindung und Präzision. Denn je tiefer ich mit mir selbst verbunden bin, je klarer ich mich zu dem in Beziehung setze, was in meinem Bewusstsein auftaucht, desto tiefer und klarer werde ich mich zu meinem Gegenüber in Beziehung setzen können. Und desto tiefer wird meine Wirklichkeitserfahrung sein.

Das macht den Ansatz von Unity in Duality auf professioneller Ebene zu einer hervorragenden Basis für jede Art von Beratungs- und therapeutischer Arbeit: Unser Sein wird zu unserem tiefsten Werkzeug – ungeachtet dessen, welche Methode wir auf dieser Basis anwenden. Denn da es sich bei Unity in Duality um die Essenz der buddhistischen Weisheitslehren jenseits von kultureller und religiöser Prägung handelt, ist es mit den unterschiedlichen therapeutischen und weltanschaulichen Systemen kompatibel und steht auch der persönlichen Interpretation der eigenen Erfahrung in philosophischer oder religiöser Hinsicht nicht entgegen. Ganz im Gegenteil: Viele Menschen, die die Sicht von Unity in Duality eines zutiefst aufeinander bezogenen, dynamischen Universums zurück in ihr eigenes Feld tragen, berichten, nun zum ersten Mal tiefere Zusammenhänge in ihrer Disziplin klar zu verstehen.

Am Ende steht ein – letztlich ganz einfacher – natürlicher Seinsprozess, in dem es gilt, zu sein. Auf Basis dieser Sicht arbeitet Unity in Duality in der Selbstentwicklung und therapeutischen Anwendung exemplarisch mit Techniken, die in ihrer Essenz der buddhistischen Geistesschulung entlehnt sind wie etwa die Arbeit mit Mandala, mit Traum oder mit den fünf Elementen. Doch alles, was dient, unseren Kontakt zu dem tiefsten existenziellen Seinsprozess zu unterstützen und was uns zu hilft, darin zu verweilen, kann uns als Methode dienen.

Alexia Meyer-Kahlen ist promovierte Philosophin und Psychosynthese-Therapeutin.